Zubrowka, Puszczta und ein letztes Kaffee an der neuen EU-Ostgrenze

Nein, du bist hier nicht im tiefsten Russland, sondern im östlichen Teil von Polen, EU-Land. Dies muss man sich immer wieder in Erinnerung rufen, tief in Polens Osten, in Bialistok zum Beispiel. Ein Tag in der verschlafen Stadt im Nord-Osten Polens reicht, ein wenig die Atmosphäre schnuppern, abends ein paar Wodka kosten und weiter geht es am nächsten Tag in Richtung Bialowieza-Nationalpark an der belorussischen Grenze.
wodka
Bialistok ist Haupstadt der Woiwodschaft Podlachien und Zentrum einer weissrussischen Minderheit. Nicht viel ist hier von dem wirtschaftlichen Aufschwung in anderen polnischen Städten zu sehen. Die Gegend ist arm und von der Landwirtschaft geprägt. Die Straßen und Plätze der Stadt erinnern an vergangene Zeiten. Alte kommunistische Plattenbauten, orthodoxe Kirchen und kleine bunte Holzhäuschen prägen das Bild der Stadt. Geschäfte bieten Schrirmreperaturen an. Im Winter wird es bitterkalt, schneit es, versinkt man knietief im Schnee. Bialistok ist in Polen unter anderem bekannt für eine exzellente Medizinische Fakultät, sowie für Zubrowka, einen Wodka der hier produziert wird. Viel kann man von diesem typisch polnischen Schnapps nicht trinken. Bei jedem einzelnen Schluck rebelliert der Gaumen gegen das, was ihm da zugemutet wird: Ein trocken-herber, Waldmeister ähnlicher Geschmack, erzeugt durch den Zusatz des für die Gegend typischen Bison-Grases.
zubrowka1
Ein klarer Kopf am nächsten Tag ist von Vorteil, auf der Fahrt nördlich zum Nationalpark. 80 Kilometer, auf maroden, ohne Markierungen versehenen Straßen. Nicht nur die Strassenverhältnisse erfordern gesteigerte Aufmerksamkeit, sondern auch die Freude der polnischen Autofahrer an waghalsigen Überholmanövern. Dennoch, die Fahrt lohnt sich und läd zum Träumen ein. Vorbei geht es durch malerische Landschaft, an auf Strommasten gebauten riesigen Storchennestern, einsam weidenden Kühen und vereinzelten Bauern-Dörfchen. Dort hocken alte Männer und Frauen mit Kopftüchern vor ihren bunten Häuschen auf Holzbänken zusammen, plaudern, und geniessen die letzten warmen Strahlen der Sonne. Polen vestehen die Sprache dieser Menschen hier nicht, fasst alle sind Weissrussen, die einen speziellen russisch-polnischen Dialekt sprechen. Alles scheint in diesen Örtchen aus Holz zu bestehen, sogar die typisch orthodoxen Kirchen. Ein wenig erinnert all dies an Szenen aus alten Western-Filmen. Wodka ist hier natürlich auch sehr beliebt. Geheiratet wird für gewöhnlich am Sonntag, da müssen sich die Gäste beim Gelage zurückhalten. Am Montag muss ja wieder gearbeitet werden.
kirche
Bald sind auch schon die Ausläufer der Puszcza Bialowieza erreicht, des riesigen Walgebietes zwischen Polen und Weissrussland. Die Puszcza ist das größte Urwaldgebiet in Mitteleuropa, 1250 Quadratkilometer groß, davon 530 Quadratkilomter auf polnischer Seite. Klar, warum Holz hier so ein beliebter Baustoff ist. Die Gegend wird noch einsamer, der Wald dicht und dunkel. Im Winter hier auf spiegelglatter Straße in den Graben rutschen? - Eine Katastrophe, Rettungsdienste brauchen ewig, wer Glück hat, bekommt schnelle Hilfe von einem Bauern, der zufällig mit seinem schweren Traktor vorbei tuckert.

Bald ist das Ziel der Fahrt erreicht: Bialowieza, ein kleiner, friedlicher Ort mit Hotels, Kneipen und Cafes, so etwas wie das Touristenzentrum in der Gegend. Zurück in der Zivilisation. Ein beliebter Ort für Vogelkundler, andere Naturexperten und Touristen. Bialowieza ist das Tor zum Nationalpark und hat ein sehenswertes Naturmuseum. Hier können Führer gebucht werden, ohne die das Betreten des Parkes verboten ist. Teile des Gebietes stehen unter dem UNESCO Weltnaturerbe und sind streng geschützt. Kippt etwa ein Baum bei heftigem Sturm auf einen der Wanderwege, muss dieser liegen bleiben. Er darf zwar durchgesägt werden, um die befestigen Wege zugänglich zu halten, jedoch nicht beiseite geschafft werden. Alles soll hier so natürlich wie möglich bleiben. In einem Naturreservat am Rande des Örtchen kann man wilde Pferde, Wölfe und Wisente, eine europäische Rinderart bestaunen. Die riesigen Kollose, die den amerikanischen Bisons ähneln, liegen faul beisamen und mampfen genüsslich saftiges Gras. Früher bevölkerten Wisentherden den ganzen europäischen Kontinent, heute finden sich die einzigen wild lebenden Tiere nur noch im Urwaldgebiet zwischen der polnisch-weissrussischen Grenze und im Kaukasus.
wisent
Nach einem langen Tag voller bezaubernder Eindrücke von dieser unberührten Natur, den bunten Häuschen und ihrer so fremden Bewohner, erscheint der Alltag zu hause in weite Ferne zu rücken. Der Blick schweift über den Horizont und den nicht enden wollenden Wald. Ein Eichhörnchen könnte hier von Baum zu Baum nach Weissrussland hüpfen. Ein angenehmer Duft von Wald und Moos liegt in der Luft, die Störche sind schon auf dem Weg in den Süden. Die Gegend und ihre Menschen scheinen gespannt auf den Winter zu warten, in dem hier alles noch einmal langsamer wird.
wald
Einige Kilometer ausserhalb Bialowieza hat in einer alten Bahnstation ein neues Restaurant eröffnet. Im „Restauracja Carska“ (Restaurant des Zaren) hätte es sich der Zar wohl gerne gut gehen lassen. Vornehme Teakholzmöbel, die Stühle mit edlem Stoff überzogen, klassische Malerei an den Wänden und ein weiss gekachelter Offen, dazu Möbel, die das Herz von Antiquitätenliebhabern höher schlagen lassen. Draussen sind auf dem alten Bahnsteig und den Gleisen Tische, Stühle und Sonnenschirme aufgestellt. Eine gute Tasse Kaffe und würzige Barszcz-Suppe vertreiben die bösen Wodka-Geister des Vorabends. Die friedliche Ruhe des Waldes, die warme Herbstsonne, eine freundliche Bedienung - alles läd dazu, ein den Nachmittag hier zu verbringen.
Nein, du bist hier nicht im tiefsten Russland, sondern im östlichen Teil von Polen, EU-Land. Bis zur Grenze ist es aber nicht mehr weit. Dort würden sie dich jedoch nach deinem Visum fragen. Schade eigentlich.
endstation

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